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Sind wir endlich resilienter geworden oder fawnen wir alle nur noch?

  • Autorenbild: Chiara Polverini
    Chiara Polverini
  • 5. Aug. 2024
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 31. Aug. 2024



Die Beobachtung in den Unternehmen zeigen es deutlich: zum einen sind die Bedürfnisse der Mitarbeitende stark in den Vordergrund getreten. Man spricht offen(er) über Gefühle, Ängste, Sorgen sowie auch über Erwartungen, Pläne und Veränderungsbedarf. Werte werden zunehmend als Kompass für persönliche und berufliche Entscheidungen gesetzt. Das Große Ganze, das in der Welt passiert, wird in die tägliche Reflexion eingebunden. In Theorie möchten alle den eigenen Werten treu bleiben; in Theorie sind Respekt und Wertschätzung aus der Zusammenarbeit nicht wegzudenken; in Theorie ist jede:r bereit, ein klares Wort auszusprechen, wenn er oder sie die eigene Weltanschauung als verletzt empfindet. In Theorie. In meinen 1:1 Gesprächen, im kollegialen Austausch, erlebe ich immer wieder, wie der Zusammenhalt groß ist, wie der Unzufriedenheit konstruktive und kreative Lösungen entgegengesetzt werden. Doch dann passiert (meistens) nichts. Das Gespräch mit der Führungskraft, auf das man sich voller Elan vorbereitet hatte, läuft doch anders ab; anstatt am Wochenende die angedachten 10 Bewerbungen zu schreiben weil es ja im aktuellen Job so unerträglich geworden ist, ist man doch lieber Eis essen gegangen; der Frust, den man mit den Kolleg:innen geteilt hat ist die Woche drauf noch da. 


Lassen wir uns zu viel gefallen?

Ist das Leben entsprechend unseren Werte doch zu anstrengend?

Ist all das, worüber wir uns beschweren, am Ende vielleicht doch nicht so schlimm?

Oder sind wir doch (endlich) resilienter geworden?



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Was die Neurowissenschaft zum menschlichen Verhalten in Stress- bzw. Gefahrensituationen sagt, ist bekannt. Der Mensch reagiert instinktiv mit Flucht, mit Kampf oder mit Erstarren (flight, fight, freeze). Doch inzwischen spricht man über einen weiteren “F”-Zustand: fawn (seeking or used to seek approval or favor by means of flattery), was übersetzt in Richtung “Anpassung”, “Kriechen”, “jemanden Zustimmen, um keine Konflikte zu erzeugen” geht.


Die Beobachtung zeigt, dass für einige Menschen Anpassung gleich Akzeptanz ist. Akzeptanz ist in diesem Fall dennoch nicht als “Loslassen der Dinge, die man nicht beeinflussen kann” zu verstehen. Das ist die richtige und gesunde Haltung, die achtsame und resiliente Menschen haben. Fawning ist eher als passive Akzeptanz zu verstehen: Menschen entscheiden sich lieber, nicht zu entscheiden und Konflikte zu vermeiden, indem sie Vorgesetzten zustimmen, sich anpassen und bestimmte Aspekte der Realität bewusst ignorieren. Diese menschlichen Reaktionen sind verständlich und in bestimmten Lebenssituationen sogar zielführend. Doch eins wäre nicht korrekt: dieses Fawn-Verhalten mit Resilienz zu verwechseln. Resiliente Menschen gehen zwar auch durch bestimmte Reaktionsphasen, sie sind aber i.d.R. selbstwirksam und somit im Stande, ihre Ressourcen so zu aktivieren, dass sie proaktiv und bewusst Entscheidungen treffen. Weil sie auf ihre Stärken vertrauen, weil sie sich bei der Entscheidungsfindung Unterstützung holen, weil sie in ihrer Haltung lösungs- und zukunftsorientiert sind.


Der Begriff “Resilienz” ist in den letzten Jahren überstrapaziert worden und hat eine oft negative Konnotation erhalten. Es ist von daher wichtig, dem Begriff die richtige Bedeutung zuzuschreiben: Resilienz ist Prävention, es ist die Arbeit, die wir kontinuierlich an uns selber machen, und nicht erst dann, wenn wir in herausfordernde Situationen kommen. Es sind die Beziehungen, die wir pflegen und auf die wir zurückkommen können; es ist die Pflege unserer physischen und mentalen Gesundheit; es ist die Neugierde, mit der wir Neues lernen; es ist die bewusste und liebevolle Auseinandersetzung, mit dem was uns passiert, die unser Urvertrauen stärkt. Resilienz ist unser “Immunsystem der Seele”: mit der richtigen Stärkung werden wir zwar weiterhin flüchten, in Starre verfallen, kämpfen oder teilweise auch uns kriechend anpassen - aber wir werden uns immer schneller, selbstwirksam und intuitiv für den konstruktiven und somit erfüllenden Weg entscheiden.


 
 
 

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